Der Zu(frieden)steller

Es gibt Berufe, über die redet kaum jemand. Es gibt Menschen, die zuverlässig ihren Job machen und niemand nimmt sie wahr. Wie die Köche im Restaurant? Nicht ganz. Der Maitre de Cuisine kommt nach dem Essen raus, grinst breit und fragt, ob es geschmeckt hat. Meist bekommt er ein Lächeln erwidert und serviert noch einen Absacker aufs Haus. Und geht mit prima Resonanz zu den helfenden Händen in die Küche und erzählt Ihnen, wie zufrieden die Kunden waren. So geht der Abwasch leichter von der Hand.

Zufriedene Kunden erlebt Hermann in seiner Frühschicht sehr selten. Zu Weihnachten schon einmal, wenn ganz liebe, treue Kunden, ihm Süßes oder sogar einen 20er im Umschlag auf den Briefkasten kleben. Aber meistens verrichtet er seine Tätigkeit im Dunkeln. In der Stille der Nacht. „Wenn ich in einem Wohngebiet meine Runde drehe, dann läuft mir schon mal ein Marder über‘n Weg, ich nehme jedes außergewöhnliche Geräusch wahr. Aber besonders musst du acht geben auf schwarze Löcher auf zwei Rädern. Wer nämlich von der Party mit dem Fahrrad nach Hause fährt, hat selten leuchtende Sicherheitswarnwesten an und oft tut’s das Licht an der Leeze auch nicht“, warnt mich Hermann, als ich ihn bei seiner Tour am ganz frühen Karfreitag begleite.

Wir sind unterwegs, um Zeitungen zuzustellen. Die WN und MZ natürlich, aber auch überregionale Tageszeitungen sowie Magazine wie die Landlust, CT und das Münster!Magazin. Mit seinem E-Twingo geht es um halb 2 (nach meinen knapp 2 Stunden Schlaf) zur Ablagestelle an der Mondstraße, dort treffen wir auf ein paar weitere Frühaufsteher und packen den Kofferraum mit den abgepackten Zeitungen voll. Und schon brausen wir in den ersten Bezirk. Kofferraum auf und ein Blick auf die Zustellzettel – da ist alles genau beschrieben: Zugänge (ja, es gibt auch neue Abonnenten), Abgänge (schade) und Unterbrecher (Urlaub). Hermann fliegt über die Liste und hat alles gespeichert. „Man wundert sich, wie schnell man sich alles merken kann, wenn man es ein paar Mal gemacht hat.“

Mit den ersten 30 Zeitungen im Gepäck wirft sich Hermann die Zusteller-Tasche über die Schulter und weiß zielsicher, wo eine Zeitung in den Briefkasten kommt und wo nicht. Tatsächlich ist es gar nicht so dunkel, wundere ich mich. An vielen Häusern brennt ein Türlicht. Das ist nett.

Hermann ist von guter Statur, genauso groß wie ich, und läuft in Siebenmeilenstiefeln seine 20.000 Schritte. Ich komme kaum noch mit. „Wir können alles essen“, sagte mir seine Frau Petra, die auch Zeitungen zustellt. „Wir machen das jetzt gemeinsam, denn wenn der eine um neun ins Bett geht, der andere nicht, das ist fürs Zusammenleben nicht optimal.“ Das glaube ich gern.

Petra und Hermann sind zur anderen Tageszeit selbstständige Fotografen. Hermann hat sich in einer Durststrecke vor vielen Jahren dazu entschlossen, als Zeitungsbote zusätzlich Geld zu verdienen, seine Frau ist seit der Pandemie dabei, als die Nachfrage nach Hochzeitsfotos und Eventfotos einbrach. „Heute haben wir wieder gut zu tun, aber im Ernst, mir macht das Zeitungen zustellen einfach Spaß. Ich weiß, dass ich Menschen zufriedenstelle und mit den Nachtzuschlägen macht der Zusatzverdienst beinahe ein Handwerkergehalt aus“, sagt Hermann und die Amseln fangen an zu singen. Noch ist es eine gute Stunde bis zum Sonnenaufgang und zwei bis zum Frühstück mit frischen Brötchen. Und ich freue mich auf‘s Bett.

Über 2000 Zustellerinnen und Zusteller sind im Münsterland und OWL als „Nachtlichter“ sechs Mal die Woche bei Wind und Wetter unterwegs, damit Leserinnen und Leser den Tag wie gewohnt beginnen können. Ein Beruf, der mehr Beachtung verdient hätte, ein Job der sowohl anstrengend als auch beglückend ist. Wer mehr darüber erfahren will, gehe einfach auf die-nachtlichter.de

Dafür braucht es keine 20.000 Schritte, nur ein, zwei Klicks.